Leistung und Ausfälle

Funktionale Einschränkung:  Leistungsschwankungen, geringes Durchhaltevermögen, reduzierte Belastbarkeit, eine permanente Leistungsreduzierung, bis hin zur psycho-motorischen Verlangsamung und der erhöhte Krankenstand, mit langzeitigen Psychiatrieaufenthalten, sind typisch für Menschen mit einer chronischen Schizophrenie.

Solange es nicht um einen regulären Arbeitsvertrag geht, kann man mit den Firmen sehr weitgehende Anforderungsreduzierungen vereinbaren und langfristig aufrechterhalten: indem man die Arbeitszeit reduziert[1], zusätzliche Pausen ermöglicht, Arbeitsdruck vermeidet oder den Verantwortungsbereich einschränkt.[2] Angebote innerhalb der Arbeitszeit, die auf Qualifizierung, Ertüchtigung und Persönlichkeitsbildung gerichtet sind, können hinzukommen: also Kurse, Sport, kulturelle Aktivitäten und Ausflüge (wie wir das in Dieburg praktiziert haben).[3]

 

Wahrnehmung der Belastbarkeit:  Die Leistungs- und Belastungsfähigkeit ist jedoch nicht statisch. Und sie ist auch nicht evident. Leistung und Belastbarkeit werden von vielfältigen Faktoren beeinflusst. Kurzfristig von Schwankungen des Betriebsklima, von Vorbildern gelungener beruflicher Eingliederung, vom eigenen Erfolg usw. Die psychische Stabilisierung ist insgesamt aber ein langfristiger Prozess. Die lange Dauer der Stabilisierung wird im Einzelfall oft erst rückblickend sichtbar, d.h. nach einem oder mehreren Rückschlägen.

Die variable Grenze der Belastbarkeit kann man nur wahrnehmen, wenn man sie testet und sie vielleicht für kurze Zeit sogar übersteigt. Diese Wahrnehmungsfähigkeit erlernen nicht alle Rehabilitanden. Das Risiko einer Überlastung wächst mit dem Erfolg, u.a. wenn sich Einstellungschancen abzeichnen, weil z.B. dahingehende Ankündigungen von Akteuren der jeweiligen Firma gemacht werden. Der Druck, der damit entsteht, lässt sich schwerlich zurücknehmen (hierzu Fallbeispiel B, im Anhang).

 

Coach:  Es gehört daher zu den Aufgaben des Coachs, die Rehabilitanden zu bremsen, vor (Selbst-)Überforderungen zu schützen, um eine stressbedingte psychische Dekompensation zu vermeiden. Der Coach hilft dem Rehabilitanden bei der Selbsteinschätzung. Er bremst oder fordert. Für Rehabilitanden, die es nicht lernen, ihre Belastungsgrenze selbst zu erkennen, muss der Coach stellvertretend ein akzeptables Anforderungsniveau finden, festlegen und immer wieder erneuern. Für diese Klienten muss der Coach Leistungsstandards vor dem Firmenpersonal entwickeln, ggf. zurücknehmen und begründen.[4]

 

Leistungserwartungen:  Leistungserwartungen dürften generell die Grenze zur Selbstschädigung nicht dauerhaft übersteigen. Das gilt auch für das Firmenpersonal selbst. Üblicherweise schonen sich die Mitarbeiter und ihre Kollegen und etablieren informell eine kollektive Leistungsgrenze - bei Rücksichtnahme auf leistungsgeminderte Kollegen. (Das scheint allerdings aufgrund wachsender Arbeitsverdichtung schwieriger zu werden).

Das Arbeitspensum des einzelnen Mitarbeiters wird in manchen Fällen aber durch die betriebsinterne Arbeitsverteilung täglich neu bestimmt: Personalausfälle müssen kompensiert, Auftragsspitzen abgefangen, technische Probleme, Arbeitsfehler behoben, Neuordnungen abgearbeitet werden usw. Für bestimmte Tätigkeiten und auch für viele Hilfsarbeiten sind die wechselnden Anforderungen (mit Hochleistungsphasen) eher typisch. Insbesondere wenn verschiedene Mitarbeiter Aufgaben an unsere Rehabilitanden weitergeben, besteht die Gefahr, dass einzelne Mitarbeiter überlastet werden, wenn sie keine "wehrhafte" Arbeitshaltung einnehmen können. Die Beschränkung der Zahl der Ansprechpartner für unsere Rehabilitanden erleichtert die Auseinandersetzung mit Leistungsanforderungen.

Die angemessene "Wehrhaftigkeit", gehört zu den wesentlichen Zielen der Rehabilitation. Auch Hack und Angermeier beschreiben dies in ihrer empirischen Studie zur "Rehabilitation durch Arbeit".[5] Der Kranke muss also lernen, seine Belastungsgrenzen im Alltag (auch über Krisenphasen hinweg) zu vertreten und die Leistungserwartungen seiner Umwelt zu korrigieren. Hierfür muss er glaubhaft sein. Und er muss ein Stück seines Handicaps preisgeben.

Die Toleranz schwindet, wenn Leistungsausfälle nicht mehr als "objektive" krankheitsbedingte Einschränkungen wahrgenommen werden, sondern als "moralische", zum Beispiel wenn die Grenze zwischen "krank sein" und "krankfeiern" infrage steht, wie bei der "Montagspsychose"[6]. Das gilt auch, wenn sich jemand vor bestimmten Arbeiten "drückt". Dann stößt die Krankheitsinterpretation durch Fachärzte und Fachdienste an Grenzen.
Damit kommen Fragen der beruflichen Sozialisation auf die Tagesordnung.

 

Ich habe versucht zu zeigen, wie die Entwicklung der Belastungsfähigkeit, ihre Wahrnehmung und die Fähigkeit, Überlastungen abzuwehren, in die berufliche Alltagswelt eingeflochten sind.

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[1]

Im Berufsbildungsbereich werden die Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitszeit durch die Kostenträger stark eingeschränkt. Nur befristete Zeitreduzierungen werden bewilligt. Die Agentur für Arbeit und die Rentenversicherung finanzieren ausschließlich Vollzeit-Reha-Maßnahmen. Diese Position müsste revidiert werden.

[2]

Hack und Angermeyer beschreiben diese personengebundenen Residualtätigkeiten ambivalent. Negativpunkte sind u.a.:
Die Position am unteren Ende der Betriebshierarchie, die schwer objektivierbare Leistung, auf einem isolierten Arbeitsplatz, aus dem Arbeitsablauf ausgegliedert ... (Angermeyer 1979, S.59 ff.).

[3]

Für externe Arbeitsgruppen konnten wir verschiedene Kooperations- und Entgelt-Modelle mit den Firmen vereinbaren und erproben:

1. Für unsere erste virtuelle Gruppe vereinbarten wir Entgelte für die Durchschnittsleistung. Mittelfristig glichen sich Leistungsdefizite und -Überschüsse aus, auch wenn die Gruppenbesetzung wechselte.
2. Für unsere zweite virtuelle Gruppe vereinbarten wir zunächst den Einsatz von 3 "starken" und 3 "schwachen" Klienten. Die 3 schwachen sollten (wie in 1) von unsere Werkstatt kurzfristig neu besetzt werden können. Abgerechnet wurden 4 Personen, mit einem Pauschalbetrag je Beschäftigten.
3. Für unsere erste reelle Gruppe rechneten wir erledigte Aufträge ab. Das Arbeitsvolumen konnten wir in Grenzen steuern. Dadurch konnten wir Ausfälle gut verkraften.
4. Mit der zweiten reellen Gruppe mussten wir das anfallende Pensum abarbeiten, also eine definierte Tagesleistung erbringen. Ausfälle mussten wir jeweils unmittelbar ausgleichen, z.B. durch Mehrleistung, Überstunden, verstärkte Mitarbeit der Gruppenleitung. Oder durch den Einsatz interner Klienten, die bereit waren, als Überbrückungshilfe mitzuarbeiten. Nötigenfalls setzten wir bezahlte Kräfte ein.

[4]

Beispiel: Der Jobcoach kann manche Probleme als vorübergehend einordnen: "Während der Medikamentenumstellung ist X nicht so einsatzfähig wie sonst." Oder: "X hat sich positiv entwickelt. Wir denken, dass er sich von seiner psychischen Erkrankung langsam erholt."

[5]

Hack und Angermeyer beschreiben zunächst Voraussetzungen der Rehabilitation: "Das Training von Belastbarkeit, sozialem Verhalten, Arbeitsbereitschaft, körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Anstrengungen kann zwar Grundqualifikationen schaffen / festigen, die nützlich und notwendig in ungeschützten Arbeitssituationen sind; notwendig sind jedoch auch Fähigkeiten im Erkennen von und Umgehen mit Widersprüchen und mit den weitreichenden Folgen dieser Widersprüche für die Struktur der Arbeitssituation und das Verhalten von Kollegen und Vorgesetzten. ... Unter ... geschützten Bedingungen ... lässt sich gerade der widersprüchliche Charakter der Arbeitssituation nicht simulieren." (Angermeyer 1979. S. 20 ff.)
Arbeitnehmer müssen "Relevanzstrukturen" erlernen, um Anforderungen des Arbeitgebers mit den eigenen Interessen in der Arbeitssituation ausbalancieren zu können. Die Autoren zeigen dies an einem Beispiel selbst-zerstörerischen Arbeitseifers, d.h. der Entkopplung der eigenen (hohen) Leistungsansprüche von den (mangelhaften) Arbeitsbedingungen. Dem stellen sie ein Beispiel einer "wehrhaften" Arbeitshaltung gegenüber: d.h. einer eigenständigen Optimierung der Arbeit, teilweise gegen die Vorgaben des Betriebes. (Angermeyer 1979, S. 24 ff.)

[6]

Wenn sich Ausfälle montags häufen.