Fallbeispiele

Alle Fallbeispiele wurden anonymisiert. Namen (für Personen oder Firmen) sind erfunden.

A Frau Mohr kam Anfang der 1990er Jahre im Alter von 33 Jahren in unsere Reha-Werkstatt. Die Diagnose einer schizophrenen Psychose lag mehrere Jahre zurück. Das Elternhaus lehnte Psychopharmaka ab. Frau Mohr nahm stattdessen Naturheil-Medikamente, Hefe-Präparate, Petroleumextrakte und andere Mittel, von denen die Eltern berichteten.
Frau Mohr hatte einen Realschulabschluss und eine Lehre zur Großhandelskauffrau abgeschlossen. Berufserfahrung war praktisch nicht vorhanden.

In der Anfangsphase der Reha-Maßnahme fand sich Frau Mohr mehrfach in totalen Erstarrungszuständen (Stupor), ohne jede Kontaktfähigkeit. Wir versuchten über mehr als ein Jahr, die Eltern davon zu überzeugen, eine fachärztliche Behandlung einzuleiten. Letztlich willigten die Eltern in einen mehrwöchigen Psychiatrieaufenthalt ein, zwecks Medikamenteneinstellung.

Wir besuchten unsere hospitalisierten Klienten gelegentlich, und zwar zusammen mit einem Teil der Rehabilitanden-Gruppe. So auch Frau Mohr:
Die Medikamentenbehandlung in der Klinik hatte aus Frau Mohr scheinbar einen völlig anderen Menschen gemacht: eloquent, mit souveränem Auftreten.
Aber die Eltern waren immer noch nicht von der Wirksamkeit der Medikamente überzeugt. Der Vater hatte parallel zur schulmedizinischen Behandlung ein neues Hefe-Präparat entdeckt und seiner Tochter zur Einnahme angewiesen.

Nach dem schulmedizinischen Behandlungserfolg gelangen auch Fortschritte bei der Eingliederung in unsere Trainingsfirma. Frau Mohr entwickelte sich zu einer Leistungsträgerin in einer Firmen-Abteilung.

Es zeigte sich aber auch, dass es zu einer Chronifizierung von Residualstörungen in beträchtlichem Umfang gekommen war. Vor allem im Privatbereich terrorisierte Frau Mohr Mitmenschen, z.B. Mitbewohner im Miethaus. Sie beschädigte einen abgestellten Kinderwagen, beschmierte ein Motorrad mit Farbe. Einem Haustier in der Familie versuchte sie Schnaps einzuflößen, um gemeinsam mit dem Tier zu sterben, wie sie angab.
In der Firma konnte sie eine formell korrekte Fassade aufrechterhalten. Sie verhielt sich akzeptabel, bis auf einen skurrilen (angeblichen) Suizid-Versuch: Sie hatte sich früh morgens in die Werkskantine geschlichen und einen Pulverfeuerlöscher ausgelöst.

Die Teilnahme an den Angeboten der Reha-Maßnahme stand in völligem Kontrast zu ihrem Selbstverständnis als Arbeitnehmerin des Betriebes. In ihrem Selbstverständnis war sie keine Rehabilitandin und auch nicht psychisch krank.

Trotz der Schwere der Residualstörungen gelang ihr die berufliche Teilhabe, weil sie sich auf eine gute sprachliche Kompetenz stützen konnte und weil es ihr gelang, die psychotischen Persönlichkeitsanteile aus dem Arbeitsbereich einigermaßen fernzuhalten (dafür möglicherweise umso heftiger im Privatbereich abzureagieren).

Selbst ohne Krankheitsbewusstsein kann ein externer Arbeitsplatz erreichbar sein.

 

 

 

B Herr Gross kam Mitte der 1990er Jahre im Alter von 37 mit einer schizophrenen Psychose in unsere Werkstatt. Er wurde behandelt mit, Decentan, Neurocil und Timonil, später nur noch mit Solian.

Herr Gross hatte den Hauptschulabschluss erreicht. Eine abgeschlossene Ausbildung zum Mechaniker konnte er vorweisen. Er hatte Führerschein und Gablerschein. Vor der Reha-Maßnahme in Dieburg war er im Beruflichen Trainingszentrum BTZ Wiesloch.

Er hatte Berufserfahrung in 6 verschiedenen Firmen, meist über 2 - 4 Jahre.

Der Erkrankungsbeginn, genauer der erste Psychiatrieaufenthalt, lag 8 Jahre zurück. Am Anfang der Reha-Maßnahme musste Herr Gross jährlich die Psychiatrische Klinik aufsuchen. Er entschied das selbst. Am Arbeitsplatz waren deutliche Vorboten der psychotischen Krisen beobachtbar: wachsende Nervosität, unmotivierte Bewegungen der Hände und der Finger, generelle Unsicherheitsgefühle, Einschränkung des Selbstbewusstseins.

Mehrfach hatte Herr Gross im Vorfeld einer Krise versucht die Medikamente abzusetzen oder zu reduzieren (vermutlich auf Einfluss der ebenfalls psychisch erkrankten Freundin).

Im Betrieb war er den Hausmeistern zugeteilt. Er entwickelte sich dort schnell zu einem Leistungsträger. Die Kollegen wollten, ihn als Nachrücker für einen Hausmeister, der vorzeitig berentet werden sollte, einsetzen.

Die wachsende psychische Stabilität und die Aussicht auf eine Einstellung beflügelten Herrn Gross. Er übernahm jede Aufgabe, kam dadurch in eine Überforderungssituation und dekompensierte nach einer gewissen Zeit. Die Geschäftsleitung knüpfte die Einstellung an die Bedingung einer 6-monatigen erkrankungsfreien Zeit. Der Zyklus von Stabilisierung, Überforderung und Krise wiederholte sich.

Wir suchten immer wieder nach Möglichkeiten, die (Selbst-)Überforderung zu verhindern, bis Herr Gross auf eigenen Wunsch (und auf Anraten seiner Freundin) aus der Reha-Maßnahme ausschied.

 

 

 

C Herr Mayer war in seiner Psychomotorik stark eingeschränkt. Wir zweifelten, ob eine Tätigkeit in einer Firma überhaupt einen Sinn hätte. Wir suchten aber dringend jemanden, der Alt-Pappen zuschnitt und sie so in die Produktion zurückführte. Eine einfache Aufgabe, ohne Zeitdruck. Wir wagten den Versuch und schon nach kurzer Zeit zeigte sich, dass sich Herr Mayer in der Firma wohl fühlte. Er kannte die halbe Belegschaft. Er war früher Briefträger im Nachbarort. Selbst der Bereichsleiter der Firma kam gelegentlich zu Herrn Mayer, um ein paar freundliche Worte mit ihm auszutauschen.

 

 

 

D Herr Kaufmann berichtete schon beim Vorstellungsgespräch davon, dass auch ein Angehöriger von ihm in der Firma xy arbeite. Es ist normalerweise ein Vorteil, wenn sich ein Betriebsmitarbeiter mit besonderem Engagement um einen Klienten kümmert.
Herr Kaufmann machte einen recht fitten Eindruck.
Sein Ziel war eine Umschulungsmaßnahme nach erfolgreicher Reha. Wir zweifelten, ob er überhaupt eine Kostenzusage erhalten würde, angesichts seines positiven Leistungsprofils. Als Herr Kaufmann dann tatsächlich zu uns kam und auch in besagter Firma eingesetzt wurde, erzählte der Angehörige im Verwandtenkreis herum, dass Herr Kaufmann jetzt bei „den Behinderten“ arbeite ... und Herr Kaufmann scheiterte (vielleicht nicht nur aber sicher auch wegen dieser diskriminierenden Einstufung). „Verrat durch Weiterverbreitung ihres Geheimnisses“ (Finzen 1996, S. 98) ist ein starker Impuls für ein Rezidiv bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis.

 

 

 

P Paul, siehe: Referat-Text!