Zeitpunkt des Austritts erfolgreicher Rehabilitanden

Chart::Erfolgreiche Austritte

 

Blau ausgefüllte Punkte repräsentieren erfolgreiche schizophrene Klienten, grüne Kreise Klienten mit anderen Handicaps.

 
Das Diagramm zeigt den Zeitpunkt für "erfolgreiche" Austritte von Rehabilitanden.[1]

Die vorliegenden Daten der Reha-Werkstatt Dieburg zeigen, dass die Förderung in der beruflichen Alltagswelt auch in einem "modifizierten Arbeitnehmerstatus" effektiv ist - effektiver als in der konventionellen Werkstatt.

 

Offenbar verfügt die berufliche Alltagswelt über eine überschießende Problemlösungskapazität, die über die Bewältigung von Arbeitsaufgaben hinausreicht. Die normale Arbeitswelt ist nicht der harte, rücksichtslose Kontrast zur Werkstatt. Sie ist nur stärker an eine ökonomische Rationalität gebunden.

Im Rahmen der Werkstatt ist der Zugang zur "normalen" beruflichen Alltagswelt nur mittels externer Arbeitsgruppen für eine Mehrheit der Rehabilitanden möglich, einschließlich der "schwächeren". Die Form der "virtuellen externen Gruppe" ist hierfür die ideale Basis. Wir haben uns trotzdem auch eingelassen auf "reelle" externe Gruppen mit einem abgegrenztem Aufgaben- und Arbeitsbereich. 14 unserer 94 schizophrenen Rehabilitanden absolvierten ihren Berufsbildungsbereich in einer solchen Gruppe.

Ich habe zu zeigen versucht,

dass die berufliche Alltagswelt auf einer doppelten Struktur von formeller und informeller Organisation beruht,
dass sie ein Problemfeld ist, welches in der Rehabilitation bearbeitet werden muss und
dass die berufliche Alltagswelt Probleme der Eingliederung erstaunlich effektiv bewältigen kann.

Im Folgenden geht es um das praktische Anliegen, die berufliche Alltagswelt einerseits als Problemfeld zu entschärfen und andererseits, Prozesse in der beruflichen Alltagswelt als Ressource für die Rehabilitation zugänglich zu machen. Den Rückbezug aus der praktischen Arbeit auf wissenschaftliche Referenzen kann ich nur ansatzweise leisten.[2] Interessante Ansätze bieten vor allem die Kommunikations- und die Rollentheorie, z.B. zum grundlegenden Krankheitsverständnis: Soziologen verstehen "somatische Krankheit als 'die Unfähigkeit zu relevanter Aufgabenerfüllung' und psychische Krankheit als 'die Unfähigkeit zur Rollenerfüllung'".[3]

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[1]  

Als erfolgreich habe ich nicht nur Vermittlungen in ein reguläres Arbeitsverhältnis oder in eine Lehre gezählt. (1.) Ein Klient nahm nach der Maßnahme eine selbständige Tätigkeit wieder auf, die vor der Reha über mehrere Jahre geruht hatte. (2.) Wir hatten eine Klientin, die vom Kostenträger eine Ablehnung der Kostenzusage für eine Verlängerung der Maßnahme bekam. Sie stand kurz vor der Übernahme in ein reguläres Arbeitsverhältnis. (Das ging auch aus unseren Berichten hervor.) Stattdessen wurde sie auf ihre EU-Rente verwiesen. Sie hat sich dann für die Rente entschieden und bei dem Unternehmen, das sie einstellen wollte, einen Zuverdienst-Job angenommen. Wir haben sie als Erfolgsfall gezählt. (3.) Wir hatten zwei Klienten, die nach der Reha ein Berufsförderungswerk besuchten und mit Erfolg durchliefen. Beide fanden danach eine Arbeitsstelle. (4.) Eine Klientin, die sich in einer unsrer Arbeitsgruppen sehr gut entwickelte und stabilisierte, fand ihren Lebenspartner in der Firma, in der sie arbeitete. Sie heiratete, bekam Kinder und übernahm Haushalt und Mutterpflichten, die gleichwertig zur Erwerbstätigkeit sind.

Zur Nachhaltigkeit (Stand Nov. 2013): In 3 Fällen scheiterte die Beschäftigung im ersten Jahr. In 2 weiteren Fällen wurden die Arbeitsplätze aus betrieblichen Gründen aufgelöst (nach unterschiedlicher Beschäftigungsdauer). 3 Klienten gerieten nach 12 bis 15 Beschäftigungsjahren in psychische Krisen, die zur Kündigung führte. 6 Klienten haben ihren Arbeitsplatz noch. Zu den restlichen 3 fehlen mir Informationen.
Erfolglos ausgeschiedene Klienten müssen nicht "nachhaltig" erfolglos bleiben: Ein gescheiterter Ex-Klient hat es beispielsweise zum Geschäftsführer einer Immobilienfirma gebracht.

 

Unsere Vermittlungszahlen waren vor 2002 wesentlich höher als danach. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Arbeitsmarkt: wachsende Konkurrenz im unteren Segment (Seit 2003 gibt es Mini-Jobs); wachsender Anteil von Zeitarbeit

Klientel: Sie ist "schwieriger" geworden:

mehr Klienten mit Zusatzhandicaps (geistige, körperliche Einschränkungen, Sucht)
mehr Klienten über 40 / über 50 / wachsende Altersspreizung
wachsende Dauerklientel, die intern betreut wird

Institution: Bürokratisierung / Verringerung personeller und finanzieller Ressourcen

[2]

Anders als in der beruflichen Rehabilitation gibt es zu akuten Krankheitsprozessen doch einige wissenschaftliche Texte, die sich mit Aspekten der Arbeitswelt beschäftigen. So unterstreicht schon Douglas Bennet die psychiatrische Bedeutung der Arbeit als Basis-Aktivität des Menschseins: "Work can provide the psychiatrically ill with an opportunity for socially productive behavior. It fosters social interaction and, and by recognising a sick person's capacities, reduces the sense of social incompetence which he may experience a patient. It helps him to structure his time usefully. By developing skills, it prevents the development of secondary disabilities and prepares him to return to an acceptable position and function in society." (Bennett 1970, S. 224)

In seiner Dissertation untersucht der Psychiater Michael Huppertz die Veränderung des Weltbezuges im Verlauf schizophrener Krisen. Er beschäftigt sich mit der Dynamik von Alltagserfahrungen. (Huppertz 2000)

[3]

Finzen 2009 S. 65f