Werkstätten und ihr Entgelt in der Kritik

Eine Rezension zum WISO Diskurs Juli 2015[1]

Alexander Bendel, Caroline Richter, Frank Richter; Entgelt und Entgeltordnungen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.
Etablierung eines wirtschafts- und sozialpolitischen Diskurses.
Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. In: WISO Diskurs Juli 2015, Bonn.
Im Internet: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/11514.pdf

Die vorgelegte Expertise zu Entgelt und Entgeltordnungen in Werkstätten entstand am vorläufigen Ende eines Dialogprozesses, der u.a. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem wertkreis Gütersloh und dem parlamentarischen Staatssekretär a. D., Klaus Brandner angestoßen und getragen wurde. Einbezogen waren "Expert_innen aus Werkstätten, Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Verbänden, Gewerkschaften". (S. 7)

Nicht nur das Thema auch einige der Dialogbeteiligten wurden einer breiten Fernsehöffentlichkeit bereits präsentiert. Am 23.03.2015 sendete das ZDF-Magazin WISO einen ca. siebenminütigen Beitrag unter dem Titel "Gerechter Lohn in Werkstätten?".[2] Aufhänger der Sendung war die Beschwerde einer behinderten Beschäftigten des wertkreis Gütersloh, die nach einer Entgeltkürzung eine höhere Leistungsprämie vor dem Arbeitsgericht Bielefeld einklagen wollte. Das ZDF-Magazin warf den Werkstätten vor, ihren Rehabilitationsauftrag nicht zu erfüllen. Stattdessen unterhielten die Werkstätten unterbezahlte Arbeitsverhältnisse. In der Sendung und präziser in der Stellungnahme zur Sendung verweist der wertkreis Gütersloh auf seine Initiative bei der Entwicklung eines fundierten Lohnsystems: In Kooperation mit der Friedrich Ebert Stiftung "...diskutiert die Einrichtung ihre Lohnordnung mit Experten".[3] Eine dieser Experten, die auch im ZDF-Magazin zu Wort kam, ist Caroline Richter, Mitautorin der vorgelegten Expertise. Sie sagt im Interview des ZDF: "Im Moment sind die Werkstätten erheblich unter Druck, denn sie wissen ja noch gar nicht wirklich sich zwischen Rehabilitation und Wirtschaft zu verorten. Dadurch entsteht eine Wirtschaftsnähe, die mit dem sozial-politischen ursprünglichen Auftrag der Rehabilitation und Qualifizierung wenig zu tun hat."
'Wirtschaftsnähe' bedeutet Ausbeutung billiger Arbeitskräfte für gewerbliche Aufträge – so offenbar die Diagnose der WISO-Redakteure.

Gesetzliche Mandate

Frau Richter spielt an auf aktuelle Positionsbestimmungen der Werkstätten, deren inflationäre Vervielfältigung vor allem das Selbst-Unverständnis der Werkstätten offenbart. Mit einer Positionsbestimmung der Werkstätten beginnt konsequenterweise auch die Expertise zum Entgelt. Die Autoren entwickeln ihr Verständnis der "Werkstatt für Menschen mit Behinderung"[4] aus der rechtlich-administrativen Perspektive. Ihre Kernthese lautet: Die Werkstätten haben ein gesetzliches Dreifach-Mandat, dessen Elemente in einem ungelösten Spannungsverhältnis zueinanderstehen. Die Mandate sind die der Rehabilitation, der Inklusion und des unternehmerischen Wirtschaftshandelns.

Unter 'Inklusion' verstehen die Autoren "..., dass WfbM ihre Beschäftigten zielgerichteter denn je [sic!] auf den (Wieder-)Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten sollen. Als Mindestmaß der Zielerreichung gilt die Vermittlung in weiterhin geschützte Außenarbeitsplätze und Integrationsunternehmen ..." (S. 8). Die konventionelle Werkstatt wäre folglich der Ort der Exklusion[5] – per Definition.

Zum 'Rehabilitationsmandat' erfährt der Leser, dass es das ursprüngliche sei und Vorrang habe.[6] Was Rehabilitation für die Autoren bedeuten mag, erschließt sich nur ex negativo: Demnach umfasst sie alle Aufgaben der WfbM, die weder betriebswirtschaftlich motiviert sind noch auf den Arbeitsmarkt zielen. Das gilt unmittelbar für die "arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der ... Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit" (§ 41 SGB IX / neu § 56). Und das gilt den Autoren – dem Klischee folgend – für die alltägliche Pädagogik, die, mit produktiven Anforderungen schwer vereinbar, Rollenambiguitäten der Arbeitsanleiter verursache (S. 46). Die Ambiguität wird nur unterstellt.

Diese Vorüberlegungen der Expertise sind zweifelhaft:
(1) Zu den wenigen wissenschaftlich gesicherten Forschungsergebnissen gehört die Erkenntnis, dass Rehabilitation gerade nicht so funktioniert: Im Binnenbereich spezialisierter Institutionen können Rehabilitationsprozesse (trotz konzentrierter Fachkompetenz) nicht so wirksam implementiert werden, wie das im Supported Employment der Fall ist.[7] Rehabilitation hat eine Inklusions-Komponente.[8] Und einige Werkstätten stützen ihre Konzeption und ihr Reha-Angebot hierauf.[9]

(2) Die Ursprungsmandate der Werkstatt liegen vor ihrer sozialrechtlichen Kodifizierung. Eindrucksvoll dargestellt findet man dies im Katalog zur Ausstellung der BAG WfbM über den "... langen Weg vom Tollhaus zur Werkstatt für Behinderte."[10] Vorläufer der Werkstätten entstanden aus Initiativen der Eltern geistig behinderter Menschen[11] – Eltern, die heute zu den überzeugten Verteidigern der Werkstatt gehören.

Die Entlohnung der Arbeit war für die Umwandlung der ursprünglichen Bastelstuben in Werkstätten wesentlich.[12] Rehabilitation hat eine Wirtschaftsbezug, bis hin zur Ebene der Anforderungen: Leistungs- und Belastungserprobung gehören zur Rehabilitation. Das "Arbeitstraining"[13] war in den Werkstätten ein Vorläufer zur "Berufsbildung".

Veränderung der Zielgruppen

Die Beziehung der Werkstatt-Klientel auf den Arbeitsmarkt ist eine der Schlüsselfragen der Expertise: Die ursprüngliche Klientel der Werkstatt war "... eine Bevölkerungsgruppe, der aufgrund von behinderungsbedingten Funktionsveränderungen (...) ggf. zeitlebens keine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten wurde." (S. 19). Das Inklusionsmandat und seine wachsende Brisanz erklären die Autoren u.a. aus der Veränderung der Zielgruppe – insbesondere der wachsenden Zahl psychisch behinderter Menschen.

In die Werkstätten kommt nun auch, wer vom Markt ausgegliedert wurde, und zwar "... im Zusammenhang mit den Transformationsproblemen der modernen Arbeitswelt (erhöhte Flexibilität der Produktion, verkürzte Reaktionszeiten auf Marktveränderungen, diversifizierte Kundenbedürfnisse und -gruppen usw.)" und der "Subjektivierung der Arbeit" (S. 19)

Die Autoren mutmaßen daher, dass diese "Menschen mit vorwiegend psychischen und seelischen Behinderungen (...) dem 'allgemeinen Arbeitsmarkt' und der hier geltenden Leistungsorientierung als Inklusionsideal skeptisch gegenüberstehen könnten" (S. 25) – und damit auch dem Inklusionsmandat der Werkstatt.

Empirische Daten über die Werkstattklientel legen jedoch andere Vermutungen nahe. Für die Reha-Werkstatt Dieburg, die ich über 25 Jahre begleitet habe, sind differenzierte statistische Daten von 1987 bis 2011 verfügbar: Die Aufnahmezahlen für die psychisch kranke Kernklientel, das sind Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis, blieben über den gesamten Zeitraum konstant. Zuwächse waren zu verzeichnen bei Borderline Erkrankungen. Und besonders angewachsen sind die Aufnahmezahlen psychisch kranker Menschen, mit zusätzlichen geistigen Handicaps, körperlichen oder sensorischen Behinderungen und Suchtproblemen (also mit Mehrfachbehinderungen). Die "fitteren" Behinderten, mit Berufserfahrung, die "nur" von der modernen Arbeitswelt ausgestoßen wurden, sind mir in Dieburg nicht begegnet.

Das Lamento, dass Werkstätten ihre Leistungsträger festhalten, statt sie in normale Betriebe zu vermitteln, mag in den meisten Fällen zutreffen. Wenn die Autoren dies jedoch als strukturelle Paradoxie der Werkstätten anführen, dann suggerieren sie, was sie gleichzeitig kritisieren, nämlich dass solche Arbeitsplätze intern vorgehalten werden müssten, statt extern angeboten werden zu können. (S. 43)

Ihr so bezeichnetes "Tripelmandat" haben die Autoren nicht überzeugend herausgearbeitet und überhaupt nicht in Bezug auf die Praxis reflektiert. Wenn man alleine die Vielfalt der Werkstätten zur Kenntnis nimmt (die "diversitäre WfbM-Landschaft", S. 45), dann wird man die "gesetzlichen Grundlagen" als Ressourcen betrachten müssen, jedenfalls nicht nur als Mandate.
Die Autoren haben soziologische Fachkompetenz. In der Soziologie betrachtet man 'Institutionen' aus der Perspektive menschlicher Beziehungen, die mit unterschiedlichen sozialen Kontrollmechanismen stabilisiert werden. Eine soziologische Analyse institutionalisierter Beziehungen nur anhand gesetzlicher Mandate verfehlt wesentliche Charakteristika und Leistungen der 'Institution'. Evident ist dies z.B. für die soziale Institution der Familie, deren Wesen durch menschliche Beziehungen bestimmt wird, nicht durch gesetzliche Bestimmungen, die für Laien sowieso unüberschaubar sind (siehe BGB §§ 1297 ff). Erst das Ende der 'Beziehung' wird ggf. von Fachanwälten geregelt, wenn nur noch eine gesetzliche Bindung zwischen den Familienmitgliedern besteht.

Werkstattfinanzierung

Als "Zuspitzung" der Argumentation präsentieren die Autoren ihre Expertise zu den "Paradoxien" der Werkstattfinanzierung.

Erstens "ergeben sich paradoxe Verbindungen zwischen WfbM und allgemeinem Arbeitsmarkt." (S. 25) Die Autoren reklamieren:
(a) den ungerechten Transfer zwischen inkompatiblen Behindertengruppen. Die Ausgleichsabgabe wird teilweise verwendet für die nicht-erwerbsfähigen Beschäftigten der Werkstätten. Sie kommt aber zustande durch den "Ausschluss von erwerbsfähigen Menschen mit Schwerbehinderung vom allgemeinen Arbeitsmarkt" (S. 26). und
(b) die Abschwächung der Sanktionswirkung. Die Anrechnung von Aufträgen an die WfbM auf die Ausgleichsabgabe ist für die Arbeitgeber eine Alternative zur Beschäftigung behinderter Menschen (S. 20).
Beides zusammen würde bedeuten, dass Werkstätten einen negativen Effekt auf die Erwerbsquote von Schwerbehinderten haben (könnten). Diese durch keinen empirischen Befund belegte Spekulation zielt auf eine Problematisierung von Werkstätten überhaupt.

Die zweite Finanzierungsparadoxie betrifft die Behindertenlöhne, die am Markt erwirtschaftet werden müssen. Mit dieser Abhängigkeit vom Markt kommt Leistungsdruck in die Werkstatt, schlussfolgern die Autoren. Die Leistung der behinderten Mitarbeiter kann aber nicht so ausgebeutet werden, wie sonst am Markt. Im Gegenteil, die Beschäftigten der WfbM müssen obendrein gefördert werden.[14]

Die Autoren meinen nicht etwa die Paradoxie des Marktes, der – ungehemmt – die Ressource Mensch verbraucht, wie jede andere Ware und damit seine eigene Grundlage gefährdet.

Sie meinen auch nicht die Paradoxie eines arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses[15], das aber nur mit einem Taschengeld entlohnt wird: Obwohl die professionelle Arbeitsorganisation und Anleitung sozialstaatlich finanziert wird, deckt das Wirtschaftsergebnis der Werkstätten eben nur ein monatliches Entgelt von ca. 160 € im Durchschnitt. Mit dem 'fordernden' Leistungsdruck in Werkstätten kann es also nicht weit her sein. Werkstattbeschäftigte bekommen staatliche Lohnzuschüsse, die bei unseren europäischen Nachbarn bis zum Niveau des Mindestlohnes reichen.[16] In Deutschland erhalten sie ein zusätzliches "Arbeitsförderungsgeld" von 26 €[17]. Die Forderung, staatliche Transferleistungen, zu denen hier vor allem die Grundsicherung gehört, zu einem existenzsichernden Lohn beizusteuern, gründet in der nach wirksamer Rehabilitation.[18]

Entgeltersatz in der Ausbildung

Völlig aus der kritischen Diskussion ausgeblendet blieb bislang das sogenannte Ausbildungsgeld. Es wird über die ersten zwei Jahre, eben für die Zeit der Berufsbildung in der Werkstatt, direkt von der Agentur für Arbeit an die Teilnehmer ausgezahlt. Der bescheidene Betrag, nämlich 75 € monatlich, ruft die Kritiker überraschenderweise nicht auf den Plan. Die Werkstätten sind von der (ergänzenden) Entgeltzahlung in dieser Phase ausgeschlossen.[19]

Berufliche Rehabilitation bezieht sich auf erwerbsförmige Arbeit. Konsequenterweise wird das Ausbildungsgeld von den Empfängern oft als Lohn missverstanden. Und daher löst z.B. der Vergleich mit dem wesentlich höheren Übergangsgeld im Einzelfall massive Benachteiligungsgefühle aus. Übergangsgeld erhalten jene Teilnehmer, die Ansprüche aus früherer Berufstätigkeit oder Ausbildung erworben haben. Sein Wegfall am Ende der Berufsbildungsphase markiert den Beginn der entlohnten Arbeit in der Werkstatt – und ggf. eine weitere Station des beruflichen Abstiegs.

Berufliche Rehabilitation wird nicht funktionieren, wenn sie nicht schon Bestandteil der Berufsbildungsphase ist.

Lohnordnung

Das eigentliche Thema der Expertise erschließen die Autoren zunächst auch mit theoretischen Überlegungen:
Bei der Gestaltung ihrer Lohnordnungen vertreten die Verantwortlichen der Werkstätten einen Gerechtigkeitsanspruch. "Gerechtigkeit mag für die Sozialbranche als konstitutiv unterstellt werden", postulieren die Autoren. Für die weitere Analyse identifizieren sie Gerechtigkeitskonzepte.

Mit der "Marktgerechtigkeit" (Lohnbildung im Wechselspiel von Angebot und der Nachfrage) unterläuft ihnen ein Kategorienfehler. Sie verlassen den Boden normativer Konzepte und beschreiben einen bloßen (theoretischen) Mechanismus der Lohnbildung, der mit Gerechtigkeit nichts zu tun hat. Sie ignorieren aber andere Mechanismen, wie die Bildung und Auseinandersetzung von Tarifparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände). Beides hat zwar keine unmittelbare Bedeutung für Werkstätten, verweist aber auf Allokationsmechanismen, die es auch in der WfbM geben kann (z.B. zur Lenkung geeigneter Mitarbeiter in bestimmte Tätigkeitsfelder).

Mit der Auswahl von nur zwei Lohnsystemen kann die vorgelegte Analyse nicht als Expertise zu den Lohnordnungen der Werkstätten gelten. Viele Fragen bleiben offen, beispielsweise die, wie Lohnordnungen auf Betriebsstätten bezogen sind.

Die sogenannten betriebsintegrierten Beschäftigungsplätze werden in der Regel individuell entlohnt. Der Auszahlungsbetrag hängt ab (1.) von der Vereinbarung mit dem Beschäftigungsgeber und (2.) von der Auszahlungsquote, die zwischen 70 und 100% schwankt (zumindest bei den Werkstätten in Hessen, die ich kenne).

Die Erlöse ausgelagerter Arbeitsgruppen werden von den Werkstätten hingegen unterschiedlich behandelt: Sie fließen entweder in den großen Solidartopf oder sie werden unmittelbar der jeweiligen Gruppe zugeordnet – und mit einer bestimmten Quote (70%) an die Beschäftigten ausgezahlt, wie wir das in Dieburg praktiziert haben.[20] Im ersten Fall erhalten die Beschäftigten u.U. 'Zulagen' für ihren externen Arbeitsplatz. (S. 41)
Die internen Bereiche mancher Werkstätten kennen zwar einen abteilungsbezogenen Zuschlag, abhängig von Umsatz oder Erlös. Aber sie erwirtschaften gemeinsam immer sowohl den Grundlohn für alle Beschäftigten als auch den Gesamtlohn für die internen Dienstleistungen, also für die Beschäftigten in Küche, Hauswirtschaft, Telefonzentrale, Kurierdienst usw.

Die Analyse der ausgewählten Lohnsysteme enthält zwar Denkanregungen und ist daher lesenswert. Die konkreten Vorschläge der Autoren bleiben aber leider punktuell, vage und wenig fundiert.[21]

Zusammenfassung

Die Kritik der Expertise-Autoren an den analysierten Lohnsystemen fällt vernichtend aus: Bemängelt werden fehlende Objektivität und Transparenz sowie fehlende Wirksamkeit für Rehabilitation und Inklusion. Die Bewertungsmanie sei nach Maßstäben regulärer Beschäftigungsverhältnisse befremdlich (S. 47). Die insgesamt geringe Lohnhöhe sei nicht nachzuvollziehen.

Zum Teil sind das Maßstäbe, die nicht einmal normale Betriebe erfüllen. Zum Teil mag die Kritik gerechtfertigt sein. Um sich den Herausforderungen des sozialen Wandels zu stellen, müsste eine positive Kritik Potentiale der Werkstätten freilegen und nach Vorbildern suchen. Dies leistet die Expertise leider nicht. Sie ist keine Feldstudie des Institutionstyps WfbM. Ihre Aussagen reichen aber oft über den Geltungshorizont hinaus, den eine Analyse von Gesetzestexten, Lohnordnungen und Telefonauskünften der BAG WfbM wissenschaftlich erlaubte.

Reinhard Saal, Schaafheim November 2015
Korrigierte und überarbeitete Fassung, Dezember 2022
 

 

 

Anmerkungen:

[1]

Die vorliegende Rezension wurde 2015 verfasst und zuletzt Dezember 2022 überarbeitet.
Die Zitate aus der Expertise sind im Text jeweils mit Seitenangabe versehen.
Der Text der Expertise enthält eine fortgesetzte, lästige Verwechslung von Arbeitsqualität und Arbeitsmenge, mit Bezug auf SGB IX, § 138 (neu ab 1.1.2018: § 221 SGB IX).

[2]

ZDF-Magazin WISO vom 23.03.2015, Audioquelle: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2363772/Gerechter-Lohn-in-Werkstaetten%253F

[3]

Stellungnahme der wertkreis Gütersloh gGmbH zum Bericht des ZDF-Magazins WISO vom 23. März 2015. Quelle: http://www.wertkreis-gt.de/news.html 24.03.2015

[4]

Diese Titulierung der Werkstätten ist schon ein kleiner Fauxpas gegen die betrachtete Institution. Der Name ist ein Kernelement des Selbstverständnisses, wie die Ausdifferenzierung der "Reha-Werkstätten" zeigt.

[5]

S. 27: Ihre "Verortung als Segregationsraum" sei kaum zu verleugnen.

[6]

S. 25: "Nach Ansicht der BAG WfbM ist das Rehabilitationsmandat der zentrale Auftrag von WfbM, das Wirtschaftsmandat schätzt sie als nachrangig ein (Quelle: telefonische Anfrage, 05.2015)."
Diese telefonische Anfrage entspricht nicht den wissenschaftlichen Standards einer 'Expertenbefragung'. Die BAG WfbM ist eine Interessenvertretung für eine sehr heterogene Werkstättenlandschaft. Notwendigerweise muss die BAG kompromisshaft die Interessen aller Werkstätten vertreten. Wissenschaftlich fruchtbarer wäre die Befragung führender Werkstätten (hierzu Anm. 9). Hinzu kommt noch, dass die Mehrzahl der Werkstätten (vielleicht wegen ihres vergleichsweise schmalen akademischen Fundamentes) sich mit der theoretischen Reflexion ihrer Arbeit schwer tun. Die Praxis ist in wesentlichen Punkten besser als die Publikationen über sie – leider nicht in allen.

[7]

Hierzu: https://www.supportedemployment-schweiz.ch/Wissen/Forschung/PDhLm/

Rüst und Debrunner (2004), Zusammenfassung des Schlussberichts Supported Employment.
Hoffmann und Jäckel (2007), Nachhaltige Reintegration psychisch Kranker in die freie Wirtschaft
Rössler und Bärtsch (2008), Supported Employment – ein neuer berufsintegrierender Ansatz.
Hoffmann (2013), Was macht Supported Employment so überlegen?

Meine eigenen Erfahrungen zur "Rehabilitation in der beruflichen Alltagswelt" habe ich an anderer Stelle dargelegt:

In: IMPULSE Nr.60, 01.2012, Magazin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung. S. 6-11;
Internet: www.bag-ub.de/dl/impulse/impulse60-web.pdf
Im Vortrag zur WfbM:Messe, Nürnberg im März 2013; Auf den Seiten der Werkstättenmesse ist das Vortragsmanuskript leider nicht mehr auffindbar. (zum Download des redigierten Manuskrips)
Hier ein aktueller Versuch, einen wissenschaftlichen Rahmen abzustecken:
www.denksaal.de/handicap/fachartikel/Saal_2018_Jahrestagung-53gradNord.pdf

[8]

Die Inklusions-Komponente wird in Definitionen oft übersehen. 'Rehabilitation' bezeichnet:
(1.) die Leistung von Experten (auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse),
(2.) die Veränderung, die der Betroffene durchläuft (Befähigung oder Stabilisierung),
(3.) die Leistung der sozialen Umwelt, die sich an Bedürfnisse Behinderter anpasst oder nicht.

[9]

Was Werkstätten vermöchten, zeigte der Vortrag von A. Heide und A. Senner (Elbe Werkstätten Hamburg) auf der Werkstätten:Messe 2015 "50% auf Außenarbeitsplätzen. Werkstatt kann Inklusion".
https://www.werkstaettenmesse.de/CDB/download/da194c57-bdff-41ec-958d-80066ed9e71c?Type=FancyBox#

[10]

Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (Hrsg.), Bildstörung. Der lange Weg vom Tollhaus zur Werkstatt für Behinderte. Katalog zur Ausstellung. BAG WfbM Frankfurt a.M. 1999 (Ausstellung und Katalog geben prägnante Einblicke in die Geschichte.)
Ich verweise hier auch nochmals auf meine eigenen Erfahrungen (siehe Anm.7).

[11]

ebd. S. 69ff.

[12]

Der Lohn konstituiert überhaupt erst den spezifischen Sinn erwerbsförmiger Arbeit. (Ohne Lohn arbeitet man daheim.) Lohn ist ein wesentlicher Motivationsfaktor. So zahlen die Träger niederschwelliger Angebote für psychisch Kranke (z.B. in Tagesstätten) Arbeitsentgelte ggf. auch stundenweise. Das Verständnisses der gegenläufigen Kreisläufe von Geld einerseits und Produkten, Dienstleistungen und Arbeit andererseits hat eine erhebliche Bedeutung für die Vermittlung des Sinns der Arbeit in der WfbM. Auch wenn nur ein geringes Entgelt mehr oder weniger gezahlt werden kann, ist das Verständnis der Verkopplung von Arbeit und Lohn fundamental. Auch ein beträchtlicher Teil der geistig behinderten Kollegen versteht, dass Arbeitsanforderungen nicht der Willkür der Gruppenleitung entspringen, sondern ihren Ursprung im Kreislauf von Geld und Waren haben.

[13]

Unter diesem Begriff wurden die Kostenzusagen der Agentur für Arbeit bis 2001 erteilt.

[14]

"Ein Unternehmen kann auf Flexibilität durch Schichtdienst, Mehrarbeit, Überstunden und Mobilität zurückgreifen, darf Kündigungen aussprechen und als leistungsschwach erscheinende Bewerber_innen abweisen. Mehrarbeit oder Überstunden, hohe Mobilitätsanforderungen und verbindliche Leistungsvorgaben (Stückzahl/Zeit), Kündigung und Ablehnung von Anspruchsberechtigten sind im rehabilitativen Kontext der Werkstattarbeit jedoch unzulässig ... Gesundheits- und Qualifizierungsangebote während der Arbeitszeit sind für WfbM konstitutiv ... entziehen ... den Produktions- und Dienstleistungsbereichen der WfbM jedoch Ressourcen ..." (S. 26)

[15]

SGB IX, § 138 (neu ab 1.1.2018: § 221 SGB IX)

[16]

In "Staaten wie den Niederlanden oder Frankreich gilt der Mindestlohn ... auch für die Beschäftigten der WfbM." (S. 45)

[17]

Das sogenannte Arbeitsförderungsgeld gemäß § 43 SGB IX (neu ab 1.1.2018: § 59 SGB IX)

[18]

Nach meiner Einschätzung vertritt hier die BAG WfbM eine falsche Gegenüberstellung von Rehabilitation versus Leistungsdruck. Im BAG-Beitrag, in der Rubrik "Politik", vom 05.06.2014, mit dem Titel "Verständnis für Entgelte entwickeln: BAG WfbM im Austausch mit Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V." heißt es: "Wir [haben] weniger den Leistungsanspruch als mehr die Schutzpflicht gegenüber unseren Werkstattbeschäftigten im Blick..." http://www.bagwfbm.de/article/2201

[19]

Das liegt an der fehlenden sozialversicherungsrechtlichen Deckung, die erst nach Abschluss der Berufsbildung eintritt. Noch bis Anfang der 2000er-Jahre haben wir in unserer Dieburger Reha-Werkstatt das Ausbildungsgeld ggf. durch eine "Motivationsbeihilfe" aufgestockt – im Einzelfall ein effektiver Beitrag zur Rehabilitation.

[20]

Der Anteil des sogenannten 'Arbeitsergebnisses' am Umsatz-Erlös war in unserem internen Bereich immer wesentlich geringer als in den externen Gruppen.

[21]

Dazu gehören folgende Anregungen: (a) In die Lohnordnungen könnten Anreize für freiwillige Weiterbildungsmaßnahmen eingebaut werden. (S. 43 f); (b) Nicht das Bemühen um Leistung, sondern die tatsächliche Leistung sollte bewertet werden. (S. 43); (c) Altersstufen könnten als Lohnkomponente den altersbedingten Leistungsabbau teilweise kompensieren. (S. 44); (d) Die Leistungsmessung könnte durch Personalentwickler von externen Auftraggebern vorgenommen werden (S. 45); (e) Der Standard für Normalleistung sollte nicht der Gruppenleiter sein, weil dadurch eine Überforderung induziert werden könne. (S. 45 f); (f) Die Einschätzung durch das WfbM Personal könnte durch Selbsteinschätzung / Gruppeneinschätzung ersetzt werden. usw.

 

 

Die Quellenangaben aus dem Internet wurden auf dem Stand von 2015 belassen. Einige sind nicht mehr verfügbar.
 

UPLOAD auf www.denksaal.de im Dezember 2022, Reinhard Saal